Privates Medizinstudium

Auf einem Informationstag für das Medizinstudium im letzten Jahr sprach ich mit einer Mutter, die behauptete: „die Grundschule ist eine Institution von Frauen für Mädchen und Jungs werden dort systematisch benachteiligt“. Ihr Mann, der Arzt war, und ihr Sohn, der in dessen Fußstapfen treten wollte, standen daneben und nickten eifrig. Auf mich wirkte es, als dürfe sie als Frau so etwas äußern, ohne dass das Gesagte als frauenfeindlich gedeutet werden könnte und gleichzeitig sollte es die unterdurchschnittliche Abiturnote des Filiusses rechtfertigen. Von dort schwenkte sie zu dem Thema, dass heute ja überwiegend Frauen Medizin studieren würden, weil sie viel einfacher die Studienplätze erhalten. Den Jungs gegenüber wäre das sehr unfair, weil sie in der Schule ja systematisch benachteiligt würden.
Ich werde immer wieder mit diesem Thema konfrontiert und wurde auch schon zu dem Thema Männerquote in der Medizin von einer medizinischen Fachzeitschrift befragt. Ich kann bereits vorwegnehmen, dass ich kein Freund dieser Idee bin. Aber mein Interesse wurde geweckt. Stimmt es denn überhaupt, dass es mehr Frauen in der Medizin gibt und wenn ja warum setzen sich diese stärker in den Auswahlverfahren für das Medizinstudium durch?
Stimmt es, dass mehr Frauen als Männer Medizin studieren?
Ich wurde im Jahr 1976 geboren und da war das Medizinstudium noch eine Männerdomäne. Wobei das vermutlich auf fast alle Studiengänge anwendbar ist. Knapp 70 Prozent der Medizinstudenten waren Männer und nur 30% Frauen (Quelle: Statistisches Bundesamt). Dies änderte sich mit den Jahren und 1998 war das Jahr in dem etwa gleich viele Männer wie Frauen Medizin studierten. Bis zum Jahr 2018 hatte sich das Verhältnis dann fast umgekehrt und die Männer stellten nur noch 38% und die Frauen 62% der Medizinstudenten.

In der Zahnmedizin waren zum Wintersemester 2018/2019 sogar knapp 65% der Studierenden weiblich.
Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass sich insgesamt die Zahl der studierenden Frauen, in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert hat. Mitte des letzten Jahrhunderts waren gerade mal 25% der Studierenden weiblich (Quelle Statistisches Bundesamt). 2018 stellten die Frauen 51,3% der Studierenden.
Eine ähnliche Entwicklung wie in der Medizin gab es in der Architektur und Innenarchitektur, dort waren im Jahr 2019 ebenfalls knapp 62% der Studierenden weiblich (Quelle Statistisches Bundesamt).
Im Herbst 2019 absolvierten 6.666 Studenten in Deutschland erfolgreich das erste Staatsexamen (Physikum). Davon waren 4.266 Frauen (64%) und 2.400 Männer (36%) (Quelle www.impp.de).
Es ist also klar erwiesen, dass die Humanmedizin heute überwiegend von Frauen studiert wird. Bleibt die Frage: Warum ist das mittlerweile so? Werden Frauen in der Auswahl tatsächlich bevorzugt und Männer haben von vornherein deutlich schlechteren Aussichten auf einen Studienplatz?
Haben Frauen ein besseres Abitur als Männer?
Im Jahr 2018 haben 153.666 Männer Abitur gemacht und 185.628 Frauen (Quelle: Statistisches Bundesamt). Grundsätzlich machen somit heute 20% mehr Frauen als Männer Abitur. Allein auf dieser Basis ist es logisch, dass mehr Frauen ein besseres Abitur haben, da sie unter den Abiturienten einfach in der Überzahl sind.
Aber bereits seit Jahrzehnten wurde in verschiedensten Studien bestätigt, dass Mädchen in der Schule bessere Noten erzielen. Im Kern wurden in diesen verschiedenen Studien folgende Faktoren dafür identifiziert:

  • Jungen nehmen Schule nicht so ernst wie Mädchen
  • Mädchen strengen sich in der Schule mehr an als Jungen
  • Mädchen lesen deutlich mehr und lieber als Jungen und lesen bildet

Genauere Daten zu den Verteilungen der geschlechterspezifischen Abiturnoten konnte ich leider nicht finden. Aber auch in den Pisa-Studien zeichnet sich das Bild ab, dass die Mädchen insgesamt besser in der Schule sind als die Jungen. Auch hier ist auffällig, dass die Jungen bei weitem nicht so gerne lesen wie die Mädchen.
Im Fazit würde ich deshalb davon ausgehen, dass mehr Mädchen ein sehr gutes Abitur haben als Jungen. Zum einen, weil es deutlich mehr Mädchen gibt, die das Abitur machen, zum anderen, weil sie erfolgreicher in der Schule sind, da sie z.B. eine durchschnittlich höhere Lesekompetenz mitbringen. Setzen sich deshalb mehr Frauen bei der Bewerbung auf einen Medizinstudienplatz durch?
Bewerbung auf einen Medizinstudienplatz
Zum Sommersemester 2019 haben sich etwa doppelt so viele Frauen wie Männer um einen Studienplatz in Humanmedizin beworben. Demnach gab es zum Sommersemester 2019 nach Angaben von Hochschulstart 12.513 weibliche (66%) und 6.415 männliche (34%) Bewerber auf einen Studienplatz für Humanmedizin.
Es scheint so, dass sich im 21 Jahrhundert deutlich mehr Frauen für das Medizinstudium interessieren als Männer. Insgesamt haben Männer und Frauen zwar einige Gemeinsamkeiten bei ihren Lieblingsfächern im Studium, aber eben auch einige Unterschiede:

Frauen Männer
Fach Studierende Fach Studierende
BWL 113.110 BWL 122.176
Jura 65.677 Informatik 98.601
Psychologie 63.465 Maschinenbau 96.327
Medizin 59.636 Elektrotechnik 59.080
Germanistik 56.449 Wirtschaftsingenieurwesen 54.675
Pädagogik 47.407 Jura 51.166
Soziale Arbeit 44.906 VWL 49.934
VWL 39.889 Wirtschaftsinformatik 48.824
Biologie 34.025 Bauingenieurwesen 39.782
Anglistik 33.483 Medizin 36.479

Zum Wintersemester 2018 war Medizin bei den Männern auf Platz 10 und bei den Frauen auf Platz 4 der beliebtesten Studienfächer. (Quelle: https://studienwahl.de/orientieren/typisch)
Zusammenfassend kann man sagen, dass sich deutlich mehr Frauen auf einen Medizinstudienplatz bewerben, weil sich viel mehr Frauen für die Medizin interessieren. Aber haben Frauen einen Vorteil bei der Bewerbung?
Haben Frauen einen Vorteil bei der Bewerbung auf einen Medizinstudienplatz?
Ungefähr 1/3 der Bewerber und ebenfalls ca. 1/3 der Medizinstudenten sind männlich und 2/3 der Bewerber und 2/3 der Medizinstudenten sind weiblich. Das Verhältnis Bewerbern zu tatsächlichen Studierenden stimmt also überein, so dass Nichts darauf hinweist, dass hier Frauen bevorzugt werden bzw. Männer benachteiligt.
Auch das Argument, dass Frauen die besseren Abiturnoten haben und deshalb erfolgreicher sind, ist für mich nicht ganz schlüssig. Bei 10% der zu vergebenden Studienplätze in der Human- und Zahnmedizin spielt die Abiturnote gar keine Rolle mehr und bei 60% der Studienplätze ist sie nur ein Kriterium unter Vielen. Die meisten angehenden Medizinstudierenden müssen heute mehr mitbringen als eine gute Abiturnote. Sie müssen ihre Eignung für den Studiengang unter Beweis stellen und dafür werden verschiedene Eignungstests (z.B. TMS oder Interviews), berufspraktische Erfahrungen in der Medizin innerhalb von Ausbildungen oder Freiwilligendiensten verlangt. Jungen und Mädchen haben hier gleichberechtigt die Chance durch diese Auswahlverfahren zu zeigen, dass sie Medizin studieren können und wollen. Dafür braucht es Motivation, Leistung und Eignung für das Medizinstudium.
Ja was nun, Männerquote oder nicht?
Tatsächlich fordert der deutsche Ärztinnenbund (DÄB) fordert exakt das Gegenteil und verlangt eine Frauenquote von 40% in Führungspositionen in der Medizin. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist trotz des hohen Frauenanteils innerhalb der Medizin immer noch sehr gering. Zum Beispiel liegt der Anteil der weiblichen Medizinstudentinnen im Bundesland Hessen bei 58%  während die Quote bei Chefärztinnen bei gerade mal 12,8% liegt. (Quelle: Landesärztekammer Hessen). Eine Männerquote wäre unfair und zum anderen vollkommen unberechtigt. In Zukunft werden Frauen in der Medizin deutlich stärker als Männer vertreten sein und das hat gute Gründe. Viel mehr Frauen interessieren sich für den Arztberuf und bewerben sich deshalb auch erfolgreich für ein Medizinstudium. Die Männer bevorzugen andere Studienfächer. Sie sind nicht benachteiligt, sondern möchten lieber Manager, Investmentbanker, Softwareentwickler, Fahrzeugdesigner, Unternehmensberater, Anwalt oder Immobilienentwickler werden.
Was bringt die Zukunft?
Noch ist die Medizin männlich. Es gibt ca. 60% männliche Ärzte in Deutschland. Aber der Wechsel kommt und in naher Zukunft werden zum ersten Mal mehr Frauen als Ärztinnen arbeiten als Männer als Ärzte. Trotzdem werden die Männer der Medizin erhalten bleiben, und das ist natürlich auch gut so.
Aber ich bin gespannt, was der zunehmende weibliche Einfluss für Veränderungen im Arbeitsalltag und auch auf den Führungsebenen mit sich bringen wird. Im Managementbereich wurde bereits viel über die positiven Einflüsse von Frauen in Führungspositionen geforscht, geschrieben und berichtet. Man hat herausgefunden, dass sie mehr Wert auf Menschlichkeit, soziales und kooperatives Verhalten und Fairness legen. All dies sind Aspekte, die meiner Meinung nach in der Medizin sehr wünschenswert sind und die z.B. das nach wie vor eher hierarchische System in vielen Krankenhäusern positiv verändern können.
Es ist auch der Geist der Zeit, dass die Frauen in unserer Gesellschaft sich in vielen Branchen mehr einbringen wollen und nach mehr Verantwortung streben. Ich wünsche mir für die Zukunft Ärztinnen und Ärzte, die ihre Approbation durch Leidenschaft, Leistung und Eignung erhalten haben, vollkommen unabhängig vom Geschlecht.